Ein Jahr Costa Rica und den höchsten Berg nicht erklommen haben?
Nein, das ging nicht klar!
Dachten sich Kaspar, Dennis, Marco und Thomas schon im September. Jedoch braucht man für den Gipfel gute Sicht und diese ist in den Regenreichen Monaten Juni bis Dezember, schlichtweg nicht vorhanden.
Am besten soll es im Januar und Februar sein. Wunderbar! Wird gemacht!
Der Chirripo liegt in einem, nach ihm benannten Nationalpark, im Zentralen Talamanca Gebirge Costa Ricas (Codilleras de Talamanca).
Als Bruttonormalmensch gelingt einem der Aufstieg nur in 2 Etappen. Am ersten Tag erklimmt man die ersten 2000 Höhenmeter über 14 Km Strecke bis zur Herberge auf 3400m. Den Zweiten Tag beschreitet man 5Km lang die letzten 400 Höhenmeter dann möglichst früh , um sich natürlich den Sonnenaufgang mit Blick über das halbe Land zu genehmigen. Wenn man mag macht man sich dann direkt im Anschluss an den Abstieg.... Wenn man mag.... Wir mussten!!
Ok soviel zur Theorie. Wir benötigten also einen Schlafplatz in der Herberge, um den Gipfel zu erreichen. Ab zur Umsetzung:
Reservieren war aufgrund administrativer Abwesenheit der Parkverwaltung vom Telefonapparat ein Totalausfall. Schummrige Gerüchte versorgten uns mit den Informationen: Die Herberge sei ohnehin immer ausgebucht, es gäbe aber immer begrenzte Eintritte, die ausschließlich am Parkeingang verkauft werden und mehr als 40 Menschen dürften auch nicht in das Schutzgebiet. Naja gut...
Da wir aufgrund unserer unterschiedlichen Urlaubsregelungen zeit-technisch auf ein Wochenende beschränkt waren. Lautete der Plan: Freitag nach St. Gerardo zum Büro, irgendwo cerca übernachten, Samstag sehr früh die freien Tickets abgreifen und direkt los auf den Berg zur Herberge, sodass wir am Sonntagabend die Rückreise antreten können...
Pustekuchen.
Tickets für den Chirripo und seine Herberge erlangt der Bruttonormalmensch ausschließlich einen Tag im voraus. Somit hatten wir am Samstag früh die Tickets für Sonntag in der Hand. Und lediglich 2 davon. Frustration und so manche dicken Hälse bestimmten die Vormittagsstunden, dann war der Entschluss gefasst:
Wir checken heute den Wanderwegbegin nach Schranken oder Wärtern ab und schleichen uns morgen zu 4 vorbei. 2 Betten haben wir und man ist ja nicht zimperlich!
Resultat der Expedition waren 4 zerschwitzte junge Männekens ( allein die Steigung zum Wegbeginn hatte es gewaltig in sich!), nicht ein Zeichen von Ticketkontrolle am Wegeingang, und wiederhergestellte Grenzerfahrungseuphorie! Eine Grenzerfahrung, das sollte es werden...
Bepackt mit Forelle im Bauch, warmen Sachen, Brot, Keksen, und Wasser im Rücksack ging es um 3:30 am am Sonntag los. Nur vom Mondlicht und einer Kopflampe geleitet, stolperten und stiegen wir die esten 4 km und 700 Höhenmeter in Rekordzeit von 2 Stunden auf. Völlig zerschwitzt und auf dem Rechenschieber physisch beendet, kamen wir an der Parkgrenze an. (das Adrenalin vor Rangern trieb uns wohl. Unwichtig wie unwahrscheinlich ihr Auftauchen um diese Uhrzeit war) Kurz getrennt, um zu gucken, ob nicht doch noch ein Kontröllchen auftauchte... nicht der Fall. Wieder vereint ging es nun richtig los!!
Ohne weitere „Hindernisse“ konnten wir uns auf den Weg zur Herberge machen. Blieben nur noch diese 11km Weg und 1200 Höhenmeterchen. Gut erledigt, ein wenig stolz und belohnt durch tolle Ausblicke und morgendlichen Nebelwald mit Vogelkonzerten legten wir das Wandergeschirr bei Kilometer 7 zur Frühstückspause ab. Nach dem ersten herzhaften Bissen verging uns kollektiv und schlaghaft der Appetit und restlos das, bis dahin angewachsene, Selbstbewusstsein! Eine kleine Familie indigener Abstammung joggte, NEIN! Rannte freundlich grüßend an uns vorbei...
Krampfhaft versuchten wir diesen Zwischenfall zu verdrängen oder zumindest in die Kategorie unerklärlicher Naturphänomene einzuordnen und setzten die Frühstückspause, ohne ein weiteren Gedanken an die Familie fort.
Die folgenden 4 Kilometer bis 3075m Höhe stiegen wir im Windschattenmodus auf. Derjenige, der sich gerade in einem Euphorie und Energieschub befand, zog den Rest der Gruppe mit sich die Steigung hinauf. Jeder zog mal und jeder verendete mal kurzzeitig, aber wir schafften es. Auf 3000 Meter änderte sich nicht nur die Steigung in ein Gefälle (Unverschämt so etwas), auch die Natur wechselte in eine Alpine Strauchlandschaft...
Nach der Senke bei Km 12 sollte es um uns Geschehen sein. Zumindest ist dies mein sehr subjektiver Eindruck. Der Folgende Anstieg bis fast vor die Herberge gab zumindest mir vollends den Rest!
Knackende Hochlandmittagssonne, 13 KG Gepäck, ein Herz mit 160 beats per minute und ein hoch frustrierendes Tempo, was an das eines 135 Jährigen bei Schneckenjagt erinnert! Ok, immerhin kam ich aufwärts... Das Wieder entgegenkommen der netten, ungewöhnlichen Familie jedoch beendete mein Dasein auf diesem Planeten für mindestens 15 min.
Auf der Höhe der Herberge angelangt vielen wir völlig entkräftet links und rechts vom Wanderweg in die Sträucher. Darauf folgte eine 2 Stunden Siesta im Knick, die uns vor größeren Sonnenstichen und Kollapsen bewahrte....
Nun setze Planungsteil Nummer 2 ein.
Wir standen nun 500m vor der Herberge und direkt vor der Tatsache genau 2... Tickets und Betten zu haben...
Action!
-Team eins „Dread und große schwarze Brille“ stößt um 1600 bis zum Office vor und lässt sich
regulär registrieren. Innerhalb der Herberge werden innerhalb der nächsten 2400 Sekunden alle Einschlupfmöglichkeiten und Risikozonen geprüft. Ergebnis: Am Südende der Ostbaracke steht die Evakuationstür offen, sie verzeichnet eine Entfernung zum Zimmer von 3 m und stellt keine Risikozone dar, Perfekt!
-1650, Brille kontaktiert Team zwei „Shaddow 1 u. 2“ und gibt Einfallroute und Zustoßzeit bekannt, Außentemperatur sinkt mittlerweile rapide.
-1730, während Brille ein ungewöhnlich großen Eintopf für 2 Personen zubereitet, steht Dread Schmiere und Team Shaddow hält sich mit Work out am Warteposten auf Aktionstemperatur.
1745, mit einsetzender Dämmerung setzt sich der Zustoßtrupp in Bewegung. Im Schutze der Böschung wird sich der Herberge genähert. Das letzte Stück besteht aus einem buschübersäumten Gebirgshang.
Das nun vonstattengehetzte ist nur noch in Stichworten dokumentiert:
Shaddow one voraus/ Hechtsprung hinter Busch/ Shaddow delta two Überholt/ Luft rein / Stolpern/ Tunnelblick/ Scheinwerfekegel/ Deckung suchen/ Hundegebell/ Trillerpfeifen/ Lateinischer Chor/ Vollsprint in hinter nächsten Graben/ Hechten bis zum schützenden Gestrüpp/ Shaddow one bleibt an Felsbrocken hängen/ Panik im Gesicht/ Kein Mucks/ Knirschende Stiefel, suchende Taschenlampen/ Metall auf Metall/ Der Puls Hämmert/ Weiter Im Schutz der Schatten/ kriechen/ kein Blick zurück/ Entfernung -13m/ Lichtkegel/ducken/ kalter Schweiß/ Entfernung -8m/ Blitzende Sicht/ Ein Stoß/ ein Sprung/ -4 Meter/ Lichtkegel kommt/ -1,5m/ Tür ist zu, kein Kontaktmann in Sicht/ Hubschrauberotoren dröhnen/ Dread reisst die Tür auf / ins Zimmer/ Türen zu/ Totenstille/ ausharren...
Die Tür wird aufgerissen!!!
Brille tritt ein, einen fetten Topf in den Händen. Ein Mahl für die Wölfe.
Bei Vollmond Nachts um 2:00 verließen wir die Herberge. Mägen voll und ausgeruht zogen wir im Licht des Mondes und einer Kopflampe auf den Gipfel. Der Boden war gefroren und der Wind eiskalt. Eine halbe Stunde vorm Sonnenaufgang hockten wir vor Euphorie berauscht und durch-gefroren auf dem Gipfel. Hinter einer Felskante warteten wir auf das Lichtspiel, da schwankte der gesamte Berg. Ein Erdbeben der Richterskala 5,8 erschütterte Costa Rica und wir lungern am höchsten Punkt des Landes!
Darauf folgte ein atemberaubender Ausblick ins Valle Central an die Karibikküste und nach Panama. Alle Strapazen wahren vergessen!
Im Gegensatz zum Aufstieg war der Abstieg die völlige Zersetzung unserer Leiber. Es war schon Montag, Geld und Proviant waren am Ende, die Arbeit rief und die Busse warten nicht. Der einzige Haken waren die 30 km bis zur Bushaltestelle. Dauerhaftes Abfedern der Schritte, Rutschen, Schmeißfliegen abwehren und Konzentrieren, um den Sturz zu vermeiden sollten uns einen grandiosen Muskelkater bescheren.
Km 5: Alle sind frisch, wir durchqueren die Hochebene „ das Kaninchental“, idyllische Pause am Bach, die Luft ist frisch und klirrend klar.
Km 10: Erste Füße schmerzen und dieser verdammte Km 11 kommt nicht!!!, fluchen, Wut über Costa ricanische Messmethoden, Lustlosigkeit macht sich breit, !Zack! Km 12!!!
Wir haben kollektiv das Schild übersehen. Die Psyche lässt also schon nach.
Km 15: Zeitdruck, Verzweiflung und unangenehme Schmerzen machen sich breit. Teile der Gruppe rennen den Berg hinab. Wanderstäbe werden achtlos zurückgelassen, Muskeln jaulen.
Km 20: Es werden Telefonate mit Farnkraut geführt und massiv gesponnen. Aggression und Wut auf den Berg sind vollkommen. Übernachtungspläne im nächsten Knick sind hoch im Kurs. Der Weg langweilt total und unsere Beine sind am Ende, die Gruppe verliert sich.
Km 25: Stoisches trotten, Trance, Gedanken leer, Bus Bus Bus Stein Bus Sand Bus Stein, nicht mehr Gefälle BITTE!!! Es ist over! Mental und physisch zerstört. Der Berg hat gesiegt. Den Stolz haben wir auf dem Gipfel und im Karnickeltal gelassen...
Das Zischen der Glascoke holt uns in die Realität zurück. Mit nackten Füßen und seelig glücklich lassen wir die Brause die Kehle hinab perrrrrlen.
We did it!! Und es war unglaublich! Ein Highlight! Eine Odysse...
Wir bedanken uns bei:
Dem Ausblick
Der Bergluft
Den Höhenmetern
Den verkniffenen Rangern
Der Cocos Platte
Dem Südostpassat
Den Andenjoggern
Unseren Wanderstöcken
Dem Rio Blanco
Den Forellen und...
der Coke danach :)...
tjasontucker - 12. Feb, 08:55